Ergebnisse

4. Ergebnisse

 
Bei der Untersuchung der Elektrifizierung in der Bundesrepublik und deren technischen Voraussetzungen bin ich zu Ergebnissen gekommen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen.
 
a) Zur Streckenelektrifizierung
 
Nach Einführung der Dampfeisenbahn bot der Elektromotor Ende des 19. Jahrhunderts eine alternative Antriebsmöglichkeit im Schienenverkehr, die schon nach kurzer Zeit ihre Überlegenheit unter Beweis stellen konnte. Die deutsche Industrie hatte großes Interesse an der Elektrifizierung der Länderbahnen.
 
Der technische Fortschritt im Bereich der elektrischen Traktion wurde bei den Länderbahnen und der Deutschen Reichsbahn hauptsächlich aus militärischen Gründen behindert. Dass die Elektrifizierung ökonomisch sinnvoll sein konnte, bewiesen die elektrisch betriebenen Straßen-, Vorort- und Privatbahnen.
 
Die Elektrifizierung in Deutschland ist nach dem Ersten Weltkrieg über einen Gesamtplan erfolgt, der – abgesehen von den militärischen Einschränkungen – die besonderen Vorteile der elektrischen Traktion berücksichtigte. Dabei konzentrierten sich die Planer auf den Zusammenschluss von getrennten elektrischen Netzen und die Ausrichtung auf den Verkehrsknotenpunkt Berlin. Mit etwa 5 Prozent des Gesamtnetzes blieb der Anteil der elektrifizierten Strecken in Deutschland vor 1945 relativ klein.
 
In der Bundesrepublik entstand 1950 ein neuer Gesamtplan für die Elektrifizierung, der die Einführung der elektrischen Zugförderung auf allen stark belasteten Hauptstrecken mit Ausnahme der norddeutschen Tiefebene vorsah. Mitte der 50er Jahre wurden die Strecken bis Bremen und Hamburg in den Plan aufgenommen.
 
Zwei Ansätze für den Beginn der Elektrifizierungsmaßnahmen standen sich 1950 gegenüber: Rhein-Ruhr-Elektrifizierung und Fernstreckenelektrifizierung. Bei der Entscheidung zu Gunsten der Fernstreckenelektrifizierung waren wirtschaftliche Gesichtspunkte und wiederum die systembedingten Vorteile der elektrischen Zugförderung ausschlaggebend.
 
Die Elektrifizierung in Deutschland fand in breitem Maße erst nach dem Zweiten Weltkrieg statt, als praktisch keine andere Möglichkeit mehr bestand, den Schienenverkehr mit Dampfbetrieb in ausreichender Weise aufrecht zu erhalten und die Monopolstellung auf dem Verkehrsmarkt zu schwinden begann.
 
Das Elektrifizierungstempo war nach einem verspäteten Start in den 50er Jahren verglichen mit den 60er Jahren relativ gering. Erst um das Jahr 1960 können erste Erfolge in der Netzerweiterung verbucht werden. Zu dieser Zeit war der Konkurrenzkampf mit der Straße praktisch schon verloren. Daran konnten die verstärkten Anstrengungen bei der Elektrifizierung ab 1962 nichts mehr ändern.
 
Der Elektrifizierungsplan von 1950 wurde mit seiner Erweiterung bis Ende der 60er Jahre erfüllt. 1971 war auch der Strukturwandel in der Zugförderung weitgehend abgeschlossen. Diesel- und Elektrolokomotiven bestritten die Hauptlast im Schienenverkehr.
 
Die Modernisierung der Bundesbahn begann zu spät und war unzureichend. Ursache war vor allem die verfehlte Verkehrspolitik, die von falschen Voraussetzungen ausging und sich nicht schnell und konsequent genug auf veränderte Strukturen im Verkehrsmarkt einstellen konnte. Augenscheinlich konnte sich die Lobby der privatwirtschaftlich organisierten Verkehrsträger mit ihren Vorstellungen gegenüber den Bundesregierungen besser durchsetzten als die Bundesbahn. Letztlich ist es eine rein politische Entscheidung, ob der Eisenbahn gemeinwirtschaftliche Pflichten auferlegt werden und die übrigen Verkehrsträger relativ frei wirtschaften lässt oder ob durch gesetzliche Regelungen der Bahn die fehlenden Transporte verschafft werden, um sie auf eine gesunde finanzielle Basis zu stellen.
 
b) Technische Entwicklung
 
Jeweils vor den beiden Weltkriegen war die deutsche Elektroindustrie im Bereich der Technik der elektrischen Zugförderung führend in der Welt. Krieg und Nachkriegszeit brachten beide Male Rückschläge sowohl für das elektrifizierte Streckennetz als auch für den Entwicklungsstand der elektrischen Lokomotiven.
 
Nach beiden Weltkriegen wurden technische Neuerungen im Elektrolokomotivbau aus dem Ausland aufgenommen und weiterentwickelt, die dann nach rund 20 Jahren zum Bau von Schnellzuglokomotiven mit Geschwindigkeiten bis 200 km/h führten (E 19 und E 103).
 
Bei der Antriebstechnik der Elektrolokomotiven ging die Industrie nicht konsequent den systemimmanenten Weg des Einzelachsantriebs weiter, sondern orientierten sich zwischenzeitlich am Dampflokomotivbau, was zu technischen Schwierigkeit bei den ersten Vollbahnlokomotiven führte. Erst die vollkommene Abkehr von der alten Dampfmaschinentechnik brachte durchschlagende Erfolge für die Elektrolokomotiven.
 
Weil die Militärs ihr Interesse an schnell fahrenden elektrischen Zügen 1903 verloren hatten, wurden die technischen Möglichkeiten des Rad-Schiene-Systems erst nach dem Zweiten Weltkrieg voll ausgelotet.
 
Die Bahnstromversorgungsunternehmen konnten trotz zahlreicher Bemühungen die Eisenbahn nicht als Großkunden gewinnen. Aus vorrangig technischen Gründen entwickelten sich Bahnstrom- und Landesversorgung weitgehend unabhängig voneinander.
 
Das Bahnstromsystem von 15.000 Volt bei 16 2/3 Hz ist auf Mitteleuropa beschränkt. Seine Einführung hing mit der ersten elektrifizierten Fernstrecke in Preußen zusammen. Wäre der Entschluss zur Elektrifizierung früher oder später gefallen, so hätte, wie es in anderen Staaten der Fall war, ein anderes Stromsystem eingeführt werden können.
 
Ist einmal die Entscheidung für ein bestimmtes technisches System von der Größenordung der Eisenbahnelektrifizierung gefallen, so ist es nachträglich schwer, dies durch ein anderes zu ersetzen. Letztlich führen in der Technik verschiedene Weg zum gleichen Ziel. Schnellverkehr auf Schienen ist, wie das Beispiel Frankreich zeigt, auch mit anderen Stromsystemen möglich.
 
 
 

 

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